Min Clara Kim
Min Clara Kim
Vita
1966
geboren in Seoul, Korea, lebt und arbeitet in Düsseldorf
1985 – 1989
Studium der Bildhauerei an der Hong-Ik Universität, Seoul
1994 – 2002
Studium der Malerei an der Kunstakademie Münster bei Prof. H.-J. Kuhna
1998
Meisterschülerin
2002
Akademiebrief
2005
Deutsche Staatsangehörigkeit
2006
Gründung der Künstlergruppe RheinBrücke
Preise und Stipendien
1999
Europastipendium Wien
2002
Kunstpreis der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
2010
GEDOK-Stipendium für Bildende Kunst, Lübeck
Ausstellungstätigkeit (Auswahl)
1998
Kunstverein Coburg: 150 Jahre Bürgerliche Revolution (G)
Henry Moore Gallery, Royal College of Art, London, GB (G)
1999
Haus Opherdicke, Unna: In Westfälischen Schlössern ’99 (G)
2000
Goethe-Institut Santiago de Chile (E)
2002
Kunst-Werke Berlin, Institute for Contemporary Art, Berlin (G)
Kunstverein Marburg (G)
Museum Abtei Liesborn, Liesborn (G)
2003
Darmstädter Sezession, Darmstadt (G)
Kunstverein Worms: 25 internationale Drachen (G)
2004
Kunsthalle Recklinghausen: Malereiforum (G)
2006
Kunstverein Erlangen (E)
2008
cubus Kunsthalle, Duisburg: RheinBrücke (G)
2009
Die Galerie, Frankfurt am Main: Figurative Kunst aus Korea (G)
Kunstverein Sulzbach (RheinBrücke)
Kunstverein Oberhausen (RheinBrücke)
2010
GEDOK Schleswig-Holstein, Lübeck (E) Kunstverein zu Frechen (RheinBrücke)
2011
Kunstverein Salzgitter (E)
Städtische Galerie Lippstadt: ornamental (G)
Fränkische Galerie, Kronach: Menschenbilder (G)
2012
Kulturspeicher Oldenburg im Landesmuseum (E)
Kunstverein Unna (E)
Espace des Blancs-Manteaux, Paris, Frankreich (G)
Kunstverein Wesseling (G)
Kunstverein Gelsenkirchen: Malerei 12
2013
Kulturbahnhof Kreuztal (E)
Kunstverein Virtuell-Visuell, Dorsten (E)
2015
Burg Vischering, Lüdinghausen: KEINE ANGST VOR SCHÖN (E)
2016
Kunstverein Schöningen: KEINE ANGST VOR SCHÖN (E)
2017
Kunstverein Haus der Kunst Enniger: KEINE ANGST VOR SCHÖN (E) Kunstverein Oberhausen (E)
2019
Asia Culture Center, Gwangju, Korea
Haus der Kunst Enniger, Ennigerloh: (RheinBrücke)
2021
Künstlerverein Malkasten, Düsseldorf: KOREA HOCH 3 (G)
Dr. Claudia Schaefer
cubus kunsthalle, duisburg
Min Clara Kim
In der Regel konzentriert sich die gebürtige Koreanerin Min Clara Kim in ihrer Malerei auf ein einziges Motiv, einen einzelnen Gegenstand oder eine Person, der/die im Fokus eines Bildes steht, meist umgeben nur von einem weißen oder minimal bearbeiten Hintergrund. In der Ausstellung ReNatur verlässt sie konsequent den engen rechteckig definierten Rahmen des Tafelbildes und bespielt direkt die Wand. Das Motiv wandelt sich zu einem eigenständigen Bildobjekt. Für diese „shaped canvas“ schneidet die Künstlerin zunächst die Formen aus Holz oder Sperrholz und bezieht diese dann mit Nesselstoff, welchen sie grundiert und ganz klassisch mit Ölfarben bemalt. Ihre Bildobjekte werden mit Abstand auf der Wand montiert, schweben vor dieser, was ihnen eine irreale fast übernatürliche, spirituelle und mystische Leichtigkeit verleiht.
Kims eigens für diese Ausstellung ausgesuchten Motive entstammen der Natur und der Mythologie und thematisieren das Werden und Vergehen, den ewigen Kreislauf des Lebens. Symbole wie das einer Schlange, die sich einen Kreis bildend selbst verzehrt visualisieren diesen ewigen Kreislauf.¹ Die Schlangenschuppen sind den Schuppen der Lepidodendren entliehen, einer Pflanzenfamilie die in der Karbonzeit vor mehr als 300 Millionen Jahren unsere heutigen Steinkohlevorkommen gebildet hat. Im Kohlebergbau wird der Lepidodendron geborgen und vom Menschen verbrannt und vernichtet. Aus seiner Asche indes und dem freigesetzten Kohlenstoff entwickelt sich neues Leben: Der Kreislauf setzt sich fort.
Kims dreidimensionale Bildobjekte sind in fotorealistischer Manier bemalt und lassen das Objekt zu einer täuschend echten Hybride zwischen Fauna und Flora werden. In den Malobjekten gehen fremde florale Strukturen und Muster eine fruchtbare Symbiose mit der uns bekannten feinen naturalistischen Maltechnik der Renaissance ein.²
Thematisch spielen für Kim auch mythologische Figuren, wie Shiva, eine Rolle.³ Der Hindugott, ist ein Wesen der Gegensätze. Der vierarmige Shiva hat drei Augen, sein drittes Auge befindet sich inmitten seiner Stirn. Die tragende Rolle in der hinduistischen Trinität besteht sowohl im Erhalt als auch in der Zerstörung der Welt.⁴ Wenn Shivas Tanz aufhört, wenn sich seine Augen öffnen, so sagen überzeugte Shivaiten, dann geht die Welt unter. In Kims abstrahierter Arbeit gleichen die drei bis auf einen schmalen Spalt geschlossenen Augen den Samenkapseln der Banksia-Pflanze, die Augenbrauen erinnern an deren Blätter. Im Inneren der Samenkapseln, die die Augen Shivas darstellen, lodert bereits das vernichtende Feuer. Die Verbindung von Shiva, dessen Weltvernichtung durch Feuer und der in Australien vorkommende Banksia-Pflanze⁵ kommt nicht von ungefähr. Diese Pflanze benötigt Buschbrände, um keimfähige Samen freizusetzen. Ohne die Hitze des Brandes kann sich nämlich die Samenschale nicht öffnen. Und in gleicher Weise wie der Buschbrand Platz für die Neubesiedelung schafft, liegt in der Vernichtung der Beginn für neues Leben. Kim betitelt ihre Arbeit mit der Bitte: „Shiva, öffne Deine Augen“, und fleht damit die Gottheit an, zu schauen, was auf der Welt geschieht, obgleich dies ihre Vernichtung impliziert. Hier kann man direkte Bezüge zu den heutigen Herausforderungen im Anthropozän erahnen.
Eine andere botanische Arbeit mit Titel „Brandstifter“ thematisiert die Cistus Blüte.⁶ Die elfteilige Arbeit „Shivas Feuer“⁷ zeigt einen imaginären Feuerring. Er besteht aus elf einzelnen Flammen, alle spezifisch gestaltet und bemalt, die sich um ein imaginäres Kraftfeld in vollkommener Symmetrie anordnen und einen ovalen Ring bilden. Dieser Feuerring thematisiert die chronologische Abfolge eines Feuers. Er beginnt unten mittig auf dem vakanten 12. Platz eines fehlenden Bildobjekts, dem Nichts. Von dieser vakanten Stelle aus wandert unser Blick in rechter Laufrichtung nach oben. Einleitend mit der gerade gezündeten Glut zu dem entfachten und vollständig verzehrenden Brand bis hin zum verglühenden Feuer und zu seiner erkaltenden Asche. Stufen, die das Feuer ungehindert einnimmt, vom Werden über das Vergehen ins Nichts bis zum erneuten Wiederentfachen. Ein ewiger sich wiederholender Kreislauf. Wir Betrachter können Analogien zur jüngsten Geschichte des mittels der Kohle entfachten Feuers und dem damit verbundenen Wohlstand herstellen, dem Untergang des Bergbaus bis hin zu erneuerbaren Energien, wobei sich dann aus dem Kreis der ewigen Wiederholung noch eine spiralförmige Entwicklung denken ließe. Diese Arbeit lässt indes auch Vergleiche zu unserem eigenen Dasein, geprägt von Geburt, Tod und Wiedergeburt, sowie zu unserer Erde, ihrem Entstehen, ihrer Zerstörung und Erneuerung zu. Min Clara Kim hat in dieser Ausstellung durch ihre ‚shaped canvas‘ den Wandraum als erweiterten Bildraum entdeckt. Die einzelnen Farbobjekte haben zwar jedes für sich eine eigene Individualität und Aussage, sind aber darüber hinaus alle auch Teile eines großen Ganzen. Alle Bildobjekte teilen sich den gemeinsamen Wandraum und sind damit auch flexibel und variabel mit- und untereinander verbunden. Alles ist mit Allem vereint: Aus dem Blut, das der Ouroboros vergießt, entsteht die Cistus-Blüte⁸, der Blick Shivas entflammt die (Erd-)Kugel, die junge Banksia-Knospe birgt bereits die todbringenden Feuersamen, die erkaltete Aschekugel bedeutet Nährstoff und Boden für neues Leben.
© 2021 Claudia Schaefer
¹) „Ouroboros“, 2020, Öl auf Nessel auf Holz, 76 x 46 cm
²) Aus dieser Zeit stammen die trompe d’œils, die Gipsstuck und Säulen durch Bemalungen in Marmor zu verwandeln vermochten. Dabei geht Kim jedoch gänzlich anders vor. Sie kopiert nicht, malt ihre Sujets nicht von einem Modell ab, sondern empfindet diese nach und schöpft aus ihrem eigenen Formen- und Farbenschatz.
³) „Shiva, öffne Deine Augen“, 2020, Öl auf Nessel auf Holz, Installation ca. 95 x 293 cm
⁴) Mal ist er der gütige, milde und freundliche Gott der Erneuerung und der Schöpfer der Welt, außerdem der Gott des Tanzes und des Festes, der Gott der Meditation und der Keuschheit. Dann ist er der Gott des Schreckens, der Bringer von Unheil und Zerstörung.
⁵) In einer weiteren Arbeite widmet sich die Künstlerin dieser außergewöhnlichen Pflanze. In „Begin again“ 2020, Öl auf Nessel auf Holz, ca. 105 x 80 cm wird dem Banksia-Blütenstand mit ihren jungen Knospen eine Eiform verliehen. Das Ei als Symbol für den Neuanfang.
⁶) „Brandstifter“ (Cistus Blüte), 2020, Öl auf Nessel auf Holz, 58 x 64 cm
Während die Banksia-Samen die Brandhitze benötigen, um keimen zu können, gehen einige Cistus-Arten – bildlich gesprochen – noch weiter, indem sie ein selbstentzündliches Harz absondern, welches bei entsprechender Trockenheit Buschbrände quasi „aktiv“ auslösen kann. Nach dem Brand sind die Cistus-Samen die ersten, die wieder keimen und das Land zu neuem Leben erwecken.
⁷) „Shivas Feuer“ 2020, Öl auf Nessel auf Holz, Installation ca. 240 x 200 cm
⁸) Installation ca. 76 x 230 cm